Deutscher Gewerkschaftsbund

02.05.2018

1. Mai 2018 in Frechen: Rede von Siegfried Dörr

Es gilt das gesprochene Wort


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wir Gewerkschaften sind stark durch unsere starken Werten: Wir stehen für Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit. Wir leben diese Werte. Sie sind die Grundlagen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und Europa. 

Die neue Bundesregierung hat sich Einiges vorgenommen, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen zu verbessern und so den sozialen Zusammenhalt zu sichern. Viele Vorhaben tragen unsere Handschrift:

  • Wir haben im Koalitionsvertrag dafür gesorgt, dass erste Schritte zur Stabilisierung des Rentenniveaus erfolgen!
  • Wir haben die Rückkehr in die paritätische Krankenversicherung erreicht! 
  • Wir haben uns erfolgreich dafür stark gemacht, dass die Bundesregierung deutlich mehr Geld für öffentliche Investitionen in die Hand nimmt – für bezahlbaren Wohnraum, für ein gutes Bildungssystem, für eine flächendeckende Versorgung mit digitaler Infrastruktur und nachhaltigen Mobilitätsangeboten!


Aber all das reicht nicht. Diese Koalition muss den großen Aufbruch wagen – hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, mehr solidarischer Politik und mehr Förderung der Vielfalt. Wir können uns kein „Weiter so“ leisten. Es darf nicht bei einer Politik der Ankündigungen bleiben.

Denn: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass es in unserer Gesellschaft ungerecht zugeht.  Obwohl die Wirtschaft boomt und die Staatsfinanzen solide sind wie lange nicht mehr, klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Unsicherheiten und ein hoher Druck auf dem Arbeitsmarkt sind für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit langem spürbar.

Das ist eine Gefahr für die Demokratie und wenn die demokratischen Parteien diese Gefahr nicht erkennen, schaffen sie sich mittelfristig selber ab.  Der beste Schutz vor Populismus, Nationalismus und Rassismus ist SOZIALE SICHERHEIT und genau dafür setzen wir uns ein: In den Betrieben und in der Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

überall in Deutschland werden in diesen Wochen Betriebsräte gewählt.

Im Rhein-Erft-Kreis sind rund 70.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen Betriebsrat vertreten und dazu aufgerufen, ihre Vertretung im Betrieb zu wählen. 2014 war die Wahlbeteiligung höher als bei der Bundestagswahl. Auch dieses Jahr wird das so sein.

In großen Unternehmen gehört der Betriebsrat fest zum Arbeitsalltag, in kleineren Firmen ist die Inter­essenvertretung weniger üblich. 

Betriebsräte kämpfen für Gute Arbeit. Ob Arbeitsschutzgesetze, Arbeitszeitregelungen, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen: Betriebsräte achten darauf, dass sie umgesetzt werden.

Betriebsräte sind unverzichtbar, denn sie sind ein Garant für Vielfalt, Mitbestimmung, Demokratie und Solidarität im Betrieb.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, weil darüber kaum eine Zeitung
berichtet, laufen hier in der Region seit mehr als einem Jahr die Tarifverhandlungen für Redakteurinnen und Redakteure sowie freie Journalistinnen und Journalisten an den Tageszeitungen. Die Kollegen in den Lokalredaktionen von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnischer Rundschau arbeiten seit 2014 in einer gemeinsamen Tochterfirma, die nicht tarifgebunden ist. Viele Journalisten und Verlagsangestellte müssen sich dort mit Billiglöhnen weit unter Tarifniveau begnügen und auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie andere Errungenschaften verzichten, die anderswo tariflich geregelt und selbstverständlich sind.  Die Journalistinnen und Journalisten würden sich freuen, wenn Kollegen aus allen Branchen und alle, die Tageszeitungen oder deren Online-Ausgaben lesen, die Verlage wissen lassen, dass es ihnen nicht egal ist, unter welchen Bedingungen die Redaktionen arbeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die zunehmende soziale Spaltung gefährdet unsere Gesellschaft, unser Zusammenleben, unsere Demokratie.

Es geht um die Alltagsprobleme der Menschen und nicht um die Kapitalinteressen von Konzernen.

In ganz Deutschland fressen die Mietzahlungen mittlerweile die Gehälter auf: Rund 40 Prozent der Haushalte in Ballungsräumen müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete zu bezahlen. Manche Mieter zahlen 40 oder 50 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen. Etwa 1,3 Millionen Haushalte haben nach Abzug der Mietzahlung nur noch ein Resteinkommen, das unterhalb der Hartz-IV-Regelsätze liegt.

Das sieht im Rhein-Erft-Kreis nicht viel anders aus. Wegen seiner Nähe zu Köln haben die Mieten im Rhein-Erft-Kreis beinahe Großstadtniveau erreicht.

Ich frage mich, wie soll denn ein Gemeinwesen, wie soll eine Stadt funktionieren, wenn Durchschnittsverdiener es sich nicht mehr leisten können, dort zu wohnen, wo seine Arbeitsstelle liegt? Das gilt für eine Krankenschwester, eine Polizistin, einen Feuerwehrmann, einen Busfahrer oder einen Mann der Müllabfuhr.

Es darf nicht sein, dass die Gewerkschaften gute Lohnerhöhungen erkämpfen und die Menschen nichts davon haben, weil immer mehr in die Kassen von Immobilienunternehmen oder Spekulanten zurückfließt. Bezahlbares Wohnen ist ein Menschenrecht. Der Mietenwahnsinn muss gestoppt werden! Dazu kann und muss die Politik an verschiedenen Stellschrauben drehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

lasst mich ein Thema ansprechen, das mir ebenfalls am Herzen liegt und das große Auswirkung auf den Rhein-Erft-Kreis hat: Die Energiewende.

Der Rhein-Erft-Kreis hat in der Vergangenheit  immer von der Braunkohle und der Energiewirtschaft gelebt. Deshalb ist die Gestaltung der Energiewende eines der wichtigsten Zukunftsprojekte für die Menschen im in unserer Region.

Mit der Energiewende verbinden sich großen Chancen, wenn wir Innovationen umsetzen, und damit Wohlstand und Arbeitsplätze sichern. Volkswirtschaften, Regionen, Branchen, Unternehmen und Beschäftigte befinden sich bereits mitten in tiefgreifenden Veränderungsprozessen. Industrien und Wertschöpfungsketten verändern sich. Berufsbilder entstehen neu oder werden angepasst. Wind- und Solaranlagen werden ausgebaut. Elektro-Autos kommen auf die Straße. Die Stromnetze werden ausgebaut und technische Innovationen werden entwickelt.

Aufgabe der Gewerkschaften ist es, dafür zu sorgen, dass dieser Wandel gerecht gestaltet wird. Die deutschen Gewerkschaften aber auch der Internationale Gewerkschaftsbund fordern, diesen gravierenden Umbau aktiv durch einen handlungsfähigen Staat zu begleiten. Und diesen gravierenden Umbau eben auch gerecht zu gestalten! Deshalb haben wir es begrüßt, dass die Forderung nach einem gerechten Strukturwandel – im Englischen „Just Transition“ – auch im Pariser Klimaschutzabkommen verankert wurde. Für die Energiewende in Deutschland folgt daraus: In der Energie- und Klimapolitik müssen die Auswirkungen auf Beschäftigung in den Mittelpunkt gestellt werden.  

Kohle- und Gaskraftwerke liefern beim Umbau Sicherheit im Wandel. So lange die erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend und verlässlich Strom liefern können, brauchen wir konventionelle Kraftwerke. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so weiterentwickeln, dass die Kraftwerke sich am Markt behaupten können und die Beschäftigten eine Perspektive haben.

Wir brauchen eine Strukturpolitik für die Beschäftigten in den betroffenen Regionen. Beschäftigte brauchen auch in Zeiten der Veränderung eine sichere Perspektive für ihre eigene Zukunft. Tourismus und Nagelstudios reichen da nicht aus, um die Wirtschaftskraft in der Region zu halten.   

Es muss uns um die Frage gehen, mit welchen Innovationen und Investitionen wir bestehende Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen können. Und damit sind ausdrücklich nicht nur theoretische Zahlenspiele am Reißbrett gemeint. Es reicht nicht aus, in Studien mögliche Arbeitsplätze theoretisch abzuleiten. Arbeitsplätze, die dann auch noch unterbezahlt und in der Praxis vermutlich prekär sind. Die Bundesregierung wird zu dieser Frage eine Strukturwandelkommission einsetzen. Wir Gewerkschaften begrüßen das und werden uns aktiv einbringen – für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Politik muss endlich handeln, um den Strukturwandel in der Region so sozialverträglich wie möglich zu gestalten.

Die Energiewende muss bezahlbar bleiben! Für den Umbau der Energieversorgung brauchen wir Investitionen, die zunächst irgendjemand bezahlen muss. Die EEG-Umlage und die Netzentgelte sind keine gerechte Form der Finanzierung. Sie belasten den Krankenpfleger genauso viel wie die Managerin im DAX-Konzern. Die Energiewende sollte über Steuern finanziert werden, damit sich alle Menschen entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit am Umbauprojekt Energiewende beteiligen.

„Glück Auf Zukunft“


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Dieser Artikel gehört zum Dossier:

1. Mai 2018 in der Region Köln-Bonn

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