Deutscher Gewerkschaftsbund

01.12.2017

Nachgefragt: Weihnachten: Zeit der Besinnung

Adventszeit: Die Weihnachtsmärkte in Bonn sind gut besucht. Für viele Menschen ist die Vorweihnachtszeit besinnlich und schön - aber längst nicht für alle. Wir sprechen mit Bernd Weede, Vorsitzender des DGB Kreisvorstand Bonn/Rhein-Sieg, über Armut in Bonn und die Folgen.

Ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu. Die Vorweihnachtszeit hat begonnen…

Bernd Weede: Ja, die Vorweihnachtszeit mit all ihren besinnlichen Momenten,  aber auch mit einem zunehmenden Konsumrausch. Ich gehe deswegen mit sehr gemischten Gefühlen in diesen Monat und denke vor allem an die Menschen ohne Einkommen oder mit geringen Einkünften, die am Ende eines Monats häufig nicht wissen, wie sie mit dem vorhandenen Geld über die Runden kommen.

Kannst du das konkretisieren?

Bernd Weede:
Besonders bedrückend ist für mich, dass viele Kinder in Bonn von Armut betroffen sind. Besonders an Weihnachten macht sich das bemerkbar: Während sich 80% der Bonner Kinder auf viele Weihnachtsgeschenke freuen können, gehen die Kinder aus armen Familien oft leer aus oder bekommen nur kleine Geschenke, die sich ihre Eltern vom Munde abgespart oder in sozialen Einrichtungen besorgt haben. Das macht mich traurig. Wütend macht mich aber, dass mit der Armut auch ungleiche Bildungschancen und Zukunftsperspektiven verbunden sind. Armut wird vererbt.

Ist das ein Thema für die besinnliche Adventszeit?

Bernd Weede: Es ist ein Thema für das ganze Jahr. Aber in der Weihnachtszeit ist Armut besonders spürbar: Weihnachten möchte man Familie oder Freunde zum geselligen Essen einladen. Dazu braucht man aber Geld. Oder man möchte einer Einladung folgen. Dafür benötigt man ein Auto oder den ÖPNV. Aber auch das kostet Geld. Deswegen war die von der Landesregierung geplante Streichung der Zuschüsse für das Sozialticket in NRW ein sozialpolitischer Offenbarungseid. Mobilität ist nicht nur an Weihnachten wichtig für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Zum Glück hat der Druck – auch von Gewerkschaften – gewirkt. Wir müssen aber weiter kämpfen, damit die Finanzierung künftig nicht auf die Kommunen abgewälzt wird.
Mehr als ärgerlich finde ich auch die Entscheidung der Landesregierung, dass die Geschäfte am 24. Dezember - einem Sonntag - geöffnet werden können. Die Beschäftigten des Einzelhandels hatten CDU/FDP dabei nicht im Blick. Außerdem ist das vollkommen unnötig, denn Lebensmittel für drei Tage zu kaufen, ist wohl allen Verbrauchern zuzumuten.

Als Sohn einer Kassiererin weiß ich, wie schön entspannt der Heilige Abend war, wenn meine Mutter mal frei hatte.

Das Thema Kinderarmut beschäftigt dich besonders. Wie ist die Situation in Bonn?

Bernd Weede:
 Ja, das Thema treibt mich um. Wir leben in einer Stadt, in der die Bürgerinnen und Bürger im Durchschnitt Waren und Dienstleistungen für 92.000€ jährlich produzieren. Und doch haben wir eine Kinderarmutsquote von über 20%. Das heißt jeder 5. Minderjährige in Bonn lebt in Armut. Das ist skandalös und das will ich so nicht hinnehmen.

Was sind aus deiner Sicht die Ursachen für die hohe Kinderarmut in Bonn?

Bernd Weede:
Kinderarmut ist immer auch Familienarmut. Kinderarmut ist immer eine abgeleitete Armut der Erwachsenen. Und dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Besonders betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden. Eine andere große Gruppe sind die Kinder von Langzeitarbeitslosen. Immer da, wo ein Erwachsener ganz oder teilweise nicht am Erwerbsleben teilnehmen kann, sind Kinder betroffen. Neben der Erwerbssituation der Eltern spielen natürlich auch die Ausgaben eine Rolle. Die Kosten für Familien sind in Bonn besonders hoch: Die Mieten in der Stadt können sich vielerorts sogar „Normalverdienende“ kaum noch leisten. Der ÖPNV kostet viel Geld. Das Leben in Bonn ist teuer.

Was sind deine Vorschläge, um die Situation zu verbessern?

Bernd Weede:
Wir brauchen wesentlich mehr sozialen Wohnungsbau. Wenn man sich vor Augen führt, dass annähernd 50% der Bonnerinnen und Bonner ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben, wird klar wie brennend dieses Problem ist. Deshalb muss angemessener und preiswerter Wohnraum geschaffen und die städtische Wohnbaugesellschaft besser ausgestattet werden.

Also mehr bezahlbaren Wohnraum als ein Baustein, um gegen das Problem der Kinderarmut vorzugehen. Was ist noch wichtig?

Bernd Weede:
Wir brauchen Nahverkehrstarife, die eben nicht die Menschen mit geringen Einkommen ausschließen, sondern Kinder und Familien begünstigen. Wir brauchen eine wirklich kostenfreie Bildung, von der Kita bis zur Uni oder den Meisterklassen. Und außerdem brauchen wir eine verlässliche Ganztagsbetreuung der Kinder. Kurz gesagt: Die soziale Infrastruktur sowie Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche müssen ausgebaut werden. Dazu zählen Kindergärten und Schulen, aber auch die Angebote nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Aber wir müssen auch den Lebensunterhalt der Kinder sicherstellen!

Wie soll diese Sicherung des Lebensunterhaltes aussehen?

Bernd Weede: Ich fordere soziale Leistungen, die Armut verhindern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Klar ist: Wir brauchen eine Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze – auch und gerade für Kinder. Wir brauchen einen Ausbau der sozialen Sicherungssysteme – also Verbesserungen beim Arbeitslosengeld, Kinderzuschlag und Wohngeld. Familien, in denen zumindest ein Elternteil Vollzeit arbeitet, sollten nicht auf Hartz IV angewiesen sein. Mit einem familienorientiertem Fallmanagement könnte die Kinder- und Familienarmut bekämpft werden. Nicht zuletzt benötigen wir auch Erwerbsperspektiven für Langzeitarbeitslose. Als Gewerkschafter weiß ich natürlich, dass durch gute Tarife und eine bessere Tarifbindung auch mehr Geld bei den Kindern ankommt. Die Tarifflucht von Unternehmen ist deshalb nicht länger hinnehmbar. Und wenn die Arbeitgeberseite das nicht einsieht, muss die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen einfacher werden. 

Wer steht dir in Bonn zur Seite beim Kampf gegen Kinderarmut?

Bernd Weede: Es gibt in Bonn den „Runden Tisch gegen Kinder- und Familienarmut“, der von Caritas und Diakonie getragen wird. An diesem treffen sich seit Jahren Vertreterinnen und Vertreter von Ratsparteien, sowie der Wohlfahrtsverbände, Kinderschutzeinrichtungen, Gewerkschaften und der Verwaltung, um dem Problem auf den Grund zu gehen und entschieden entgegenzutreten – auf politischer Ebene. Dieses Engagement ist wichtig. Zuletzt hat der „Runde Tisch“ beinahe alle Parteien zu einer großen Anfrage zum Thema Kinderarmut animiert. Das Ergebnis wird am 12. Dezember im Sozialausschuss des Rates beraten. Die Sitzung ist öffentlich.

Wir danken dir für das Interview.

Die Forderungen zur Bekämpfung der Kinderarmut in Bonn des „Runden Tisches gegen Kinder- und Familienarmut“: http://www.kinderarmut-bonn.de/wp-content/uploads/Forderungen-RTKA-Endfassung_2017_03_01.pdf


Hinweis: In der Reihe „Nachgefragt“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen ausführliche Stellungnahmen und Positionen von gewerkschaftlichen Experten/innen aus der Region Köln-Bonn. „Nachgefragt“ bietet nicht nur ausführliche Hintergrundinformationen, sondern spiegelt immer auch die persönliche Sichtweise der jeweiligen Experten/innen wieder. Die Texte können für Medienberichterstattungen genutzt werden.

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