Dieter Schormann
Seit 2018 berät und unterstützt Dieter Schormann als Versichertenältester der Deutschen Rentenversicherung Rheinland Mitglieder der DGB-Gewerkschaften rund um die gesetzliche Rente im DGB-Haus in Köln. Wir sprachen mit dem ehemaligen Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) über seine Beratungstätigkeit, die häufigsten Fragen, die sich für Versicherte stellen und über aktuelle politische Rententhemen.
Frage: Was ist ein Versichertenältester?
Dieter Schormann: Versichertenälteste verstehen sich als Mittler zwischen den Versicherten und der Deutschen Rentenversicherung. Sie sind Teil der Selbstverwaltung bei der Deutschen Rentenversicherung und werden von den Mitgliedern der Vertreterversammlung, die aus Versicherten- und Arbeitgebervertretern besteht, gewählt. Sie üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus und geben kostenlose Auskünfte und Tipps zu vielen Rentenangelegenheiten. Außerdem helfen sie Ihnen bei der Antragstellung von Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten sowie beim Ausfüllen sonstiger Anträge und Formulare der Rentenversicherung. Die Selbstverwaltung ist ein Mitbestimmungsgremium der Sozialpartner und damit ein unverzichtbarer Bestandteil der Sozialversicherungssysteme.
Frage: Wie bist du Versichertenältester geworden?
Dieter Schormann: Bevor ich selber Rentner wurde, war ich Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft NGG u.a. in der Region Köln. In dieser Funktion habe ich mich häufig mit Fragen der Altersversorgung für Arbeitnehmende beschäftigt. In den Betrieben, in denen ich mit den Betriebsräten zusammengearbeitet habe, gab es betriebliche Altersversorgungseinrichtungen, die die gesetzliche Rente ergänzt haben. Die Gewerkschaft NGG war ab dem Jahr 2001 die erste Gewerkschaft, die mit den Arbeitgeberverbänden eine zusätzliche tarifliche Altersversorgung für ihre Mitglieder in der Ernährungsindustrie abgeschlossen hat. Die damalige Bundesregierung setzte Änderungen bei der Rente um, die Regelaltersrente wird schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Es zeigte sich immer wieder, dass Gewerkschaften und Betriebsräte besonders gefordert sind, wenn es um die soziale Absicherung von Lebensverläufen der Arbeitnehmenden geht. So kam ich zum Thema und bin bis heute - jetzt als Versichertenältester - dran geblieben.
Frage: Was sind die häufigsten Fragen mit denen Arbeitnehmende zu dir kommen?
Dieter Schormann: Die meisten Menschen wollen wissen, wann sie in Rente gehen können und wie hoch ihre Rente sein wird. Eine große Rolle spielt die Frage, welche Rentenabschläge es gibt, wenn eine vorgezogene Rente in Anspruch genommen wird. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gesundheitliche Probleme haben, wollen wissen, wie es mit der Erwerbsminderungsrente aussieht. Es gibt aber auch Fragen zu Witwen-, Witwer- oder Waisenrenten.
Frage: Immer wieder gibt es Forderungen nach einem späteren Renteneintrittsalter oder einer Kappung von hohen Renten, um die steigende Zahl von Rentnerinnen und Rentnern der Babyboomer-Generation zu versorgen. Ist das in deinen Beratungen Thema?
Dieter Schormann: In der Tat: Wenn beispielsweise aus neoliberalen Kreisen Rufe nach einem späteren Renteneintrittsalter durch die Medien gehen, steigt an den nachfolgenden Tagen der Bedarf nach Beratung und Information. Ob gewollt oder nicht gewollt, führen die Forderungen zu einer weiter zunehmenden Verunsicherung der Menschen. Gerade in der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft und in Zeiten von weltweiten Krisen, brauchen die Menschen Sicherheit und Verlässlichkeit. Die gesetzliche Rente ist kein Almosen des Staates, sondern wird im Wesentlichen aus Beiträgen der gesetzlich pflichtversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Arbeitgebern finanziert. Mit den Beiträgen darf nicht nach Belieben jongliert und spekuliert werden.
Frage: Wo liegt das aktuelle Renteneintrittalter?
Dieter Schormann: Die Regelaltersrente können Frauen und Männer in diesem Jahr mit 65 Jahren und 11 Monaten beziehen. Aktuell liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei Frauen und Männern nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung bei 64,4 Jahren. Im Jahr 2001 betrug es bei Frauen 62,5 Jahre und bei Männern 62,4 Jahre.
Selbst beim Rentenzugangsalter bei den Erwerbsminderungsrenten ist ein deutlicher Anstieg festzustellen: Bei Männern betrug das durchschnittliche Rentenzugangsalter im Jahr 2001 noch 51,7 Jahre und aktuell beträgt es 54,3 Jahre. Bei den Frauen lag es 2001 bei 50,0 Jahren und im Jahr 2022 lag es im Durchschnitt bei 53,5 Jahren.
Wer heute nach 35 Versicherungsjahren vor Erreichen der Regelaltersrente aus dem Erwerbsleben ausscheidet, muss erhebliche Abschläge bis zu 14,4 Prozent bei der Rente verkraften. Das können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst mit einem mittleren Einkommen nicht leisten.
Im Jahr 2021 haben in den alten Bundesländern von den 700.389 Rentenzugängen wegen Alters lediglich 132.032 Männer und Frauen nach 35 Versicherungsjahren eine Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen in Anspruch genommen. Viele nicht freiwillig! Entweder weil sie vorher arbeitslos gemeldet oder weil die Belastungen im Arbeitsleben unerträglich waren.
Frage: Wer kann denn tatsächlich eine vorgezogene Rente ohne finanzielle Abstriche in Anspruch nehmen?
Dieter Schormann: In der Rentenversicherung wird von besonders langjährig Versicherten gesprochen, die jeweils zwei Jahre vor Erreichen der Regelaltersrente in die Rente gehen können, wenn sie mindestens 45 Versicherungsjahre haben. Im Prinzip sind es Versicherte, die direkt nach dem Schulbesuch eine berufliche Ausbildung begonnen haben, bzw. ins Arbeitsleben eingestiegen sind. Bezogen auf das laufende Kalenderjahr bedeutet das, dass der Geburtsjahrgang 1959 mit 64 Jahren und 2 Monaten in Rente gehen kann. Wegen der Koppelung mit dem Geburtsjahrgang haben die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer häufig deutlich mehr als 45 Versicherungsjahre auf dem Rentenkonto, wenn sie diese Rente beantragen. Auch dieser Rentenanspruch steigt jährlich um zwei Monate, so dass der Geburtsjahrgang 1964 erst mit Erreichen des 65. Lebensjahres diese Rente abschlagsfrei erhalten kann.
Auch schwerbehinderte Menschen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50% können eine abschlagsfreie Rente zwei Jahre vor Erreichen der Regelaltersrente beantragen, wenn sie mindestens 35 Versicherungsjahre aufweisen.
Frage: Wie hoch ist die Rente im Durchschnitt? Reicht sie zum Leben?
Dieter Schormann: Ende 2022 erhielten nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung in Nordrhein-Westfalen 3.583.000 Versicherte eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die durchschnittliche Bruttorente betrug nach 35 Versicherungsjahren bei Männern 1.845 Euro und bei Frauen 1.322 Euro. Von den Beträgen werden Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt und diese Beträge sind seit 2005 zu versteuern.
Altersarmut ist vor allem weiblich. Ob Niedriglohn, Teilzeit, Erwerbsunterbrechung oder mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie: strukturell diskriminierende Bedingungen im Erwerbsleben führen Frauen in prekäre Beschäftigung mit geringem Einkommen. Darauf folgen Renten, die oft nicht zum Leben reichen.
Bei den Männern nimmt Nordrhein-Westfalen den Spitzenplatz unter allen Bundesländern bei der durchschnittlichen Bruttorente ein. Ein wesentlicher Grund hierfür ist meines Erachtens, dass es in Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit viele Industriearbeitsplätze gab und das Einkommen tarifvertraglich abgesichert war. In den letzten 20 Jahren hat die Zahl der Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor ohne Tarifbindung deutlich zugenommen. Ebenso hat sich die Zahl der Erwerbstätigen in Teilzeit erhöht und viele Erwerbsbiografien weisen Brüche auf. Spätestens im Alter werden diese Menschen auf zusätzliche staatliche Sozialleistungen angewiesen sein.
Ein erster wichtiger Schritt war aus meiner Sicht die Einführung der Grundrente durch Arbeitsminister Hubertus Heil. Weitere müssen folgen.
Frage: Was ist aus deiner Sicht nötig, um die Rente zukunftsfest zu machen?
Dieter Schormann: Ich bin ein großer Fan des solidarischen, paritätischen umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems. Ein reines aus Steuern finanziertes System birgt die Gefahr, dass Sozialpolitik nur nach Kassenlage gemacht wird. Eine private Vorsorge können sich Arbeitnehmende oft nicht leisten. Deshalb ist es wichtig sich auch in den kommenden Jahren dafür einzusetzen, dass eine starke gesetzliche Rente sowie flächendeckend verbreitete Betriebsrenten ein gutes Einkommen im Alter und bei Erwerbsminderung gewährleisten, und dass sich die Arbeitgeber mindestens paritätisch an der Finanzierung beteiligen.
Für eine gute Rente braucht es eine hohe Erwerbsbeteiligung, gute Entgelte und gesunde Arbeitsbedingungen. Eine Teilzeitbeschäftigung über einen längeren Zeitraum mindert nicht nur laufende Einkünfte, sondern auch Rentenansprüche. Der Weg in Vollzeit bei ungewollter Teilzeit muss deshalb erleichtert werden. Ganz zentral ist auch die Stärkung der Tarifbindung in Deutschland.
Auch wichtig: Regierungen und Parlamente müssen sich dafür einsetzen, das hohe Beschäftigungsniveau auch im industriellen produzierenden Sektor zu halten.
Und: Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 1,3 Milliarden Überstunden geleistet und davon blieben über 700 Millionen unbezahlt. Unbezahlte und nicht durch Freizeit ausgeglichene Überstunden senken den effektiven Stundenlohn und damit die Rente. Das ist “Lohnklau” und geht zu Lasten des Gemeinwohls.
Ich finde: Das alles sind Gründe für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Gewerkschaften zu stärken und bei ihnen mitzumachen.
Danke für dein Engagement als Versichertenältester und für das Gespräch.
Hinweis: In der Reihe „Nachgefragt“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen ausführliche Stellungnahmen und Positionen von gewerkschaftlichen Expert*innen aus der Region Köln-Bonn. „Nachgefragt“ bietet nicht nur ausführliche Hintergrundinformationen, sondern spiegelt immer auch die persönliche Sichtweise der jeweiligen Expert*innen wider. Die Texte können für Medienberichterstattungen genutzt werden.
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